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Pflegenotstand

Personalmangel Pflege

✓ Ursachen und Treiber
✓ Auswirkungen und Folgen
✓ Maßnahmen und Potenziale

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Inhalt

Springen Sie zu den Themen

1. Einleitung: Jobs in der Pflege sind systemrelevant und deshalb sehr wichtig

2. Pflege am Limit: Zahlen, Daten und Fakten zum Personalmangel

3. Personalmangel Pflege – Ursachen & Treiber

4. Personalmangel Pflege: Auswirkungen, Symptome, Folgen, Konsequenzen und Effekte

5. Personalmangel Pflege Risiken

6. Personalmangel Pflege Maßnahmen

7. Erfolgsmessung: Die Wirkung überprüfen

C

Unser Gesundheitswesen braucht mehr Pflegekräfte. Das ist sonnenklar. Ganz und gar nicht klar ist, wo die Fachkräfte herkommen sollen. Denn der Arbeitsmarkt ist leer. Knapp 200.000 Pflegefachkräfte sollen aktuell fehlen1Vgl. ärzteblatt.de: Wir wissen, dass 2030 circa 500.000 Pflegekräfte fehlen werden. 12. Oktober 2021. Tendenz steigend. Und die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Immer mehr Pflegekräfte sind mit ihren Kräften am Ende, steigen aus dem Beruf aus oder erwägen den Ausstieg. Da ist guter Rat teuer. Gerade dann, wenn man als Leitungskraft den Betrieb und die Personalausstattung eines Pflegeheims oder einer Klinik sicherstellen muss. In diesem Artikel erfahren Sie mitunter, welche Ursachen dem Personalmangel in der Pflege zugrunde liegen, welche Folgen er hat und natürlich auch, was Sie ganz konkret dagegen tun können.

Einleitung:
Jobs in der Pflege sind systemrelevant und deshalb sehr wichtig

Der Personalmangel in der Pflege ist seit vielen Jahren ein akutes Dauerproblem von „großem Ausmaß“2Vgl. Hämel, K. et al.: Who cares? Fachkräftemangel in der Pflege. De Gruyter Oldenburg, aus der Zeitschrift für Sozialreform, 11. Februar 2016. Vor allem ist es aber ein sehr ernst zu nehmendes Thema, weil Pflegeberufe in den Bereichen Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege und der Heilerziehungspflege systemrelevant3Systemrelevant: Als systemrelevant werden Berufe, Unternehmen oder kritische Infrastrukturen bezeichnet, weil sie eine außerordentlich bedeutende volkswirtschaftliche oder infrastrukturelle Rolle in einem Staat spielen. Sie erfüllen existentielle Aufgaben, die für das Funktionieren der Gesellschaft unabdingbar sind. Würden sie ausfallen, wäre das eine große Katastrophe für viele Menschen. Deshalb müssen sie ständig verfügbar und einsatzbereit sein. Aus diesen Gründen müssen ihre Systemrisiken so weit wie möglich unterbunden und ihre Verfügbarkeit besonders geschützt werden. sind. Es wäre schlicht eine Katastrophe für Millionen von Menschen, wenn die Mitarbeitenden in Altenpflegeheimen, Krankenhäusern, Reha-Kliniken und Behinderteneinrichtungen ihre Arbeitsleitung nicht in dem benötigten Umfang erbringen könnten oder würden.

Pflege am Limit: Zahlen, Daten und Fakten zum Personalmangel

Der Personalmangel in der Pflege ist massiv. Doch was heißt das in Zahlen ausgedrückt? Wie viel Pflegepersonal fehlt? Wie ist das Verhältnis zwischen „Angebot“ und „Nachfrage“? Und wo fehlt das Personal? Gibt es regionale Unterschiede? Wie sieht es tendenziell für die Zukunft aus? Fragen, denen wir nachfolgend auf den Grund gehen.

Personalmangel Pflege Deutschland: Aktuelle Situation und Ausblick

In Deutschland gab es im Dezember 2019 laut dem Statistischem Bundesamt DESTATIS rund 15.400 Pflegeheime und 14.700 ambulante Dienste. 4,1 Millionen Pflegebedürftige wurden von 1,8 Millionen Vollzeitbeschäftigten versorgt. Vier von fünf Pflegebedürftigen (80,2 % beziehungsweise 3,31 Millionen) wurden zu Hause versorgt. Ein Fünftel (19,8 % beziehungsweise 0,82 Millionen) wurde in Pflegeheimen vollstationär betreut4Vgl. Grabow, J.: Neuigkeiten. 4,13 Millionen Pflegebedürftige. Curacon 2020. Bei den Vollzeitbeschäftigten entfielen 796.489 auf Pflegeheime und 421.550 auf ambulante Dienste5Statistisches Bundesamt DESTATIS, Wiesbaden 2021; https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/_inhalt.html#sprg475716 und https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/Tabellen/personal-pflegeeinrichtungen.html;jsessionid=05BE79C4D2F90C64799491CAC7F5FC65.live742#fussnote-1-119080. Somit hat sich die Zahl der Beschäftigten in der Pflege in ambulanten Diensten und stationären Einrichtungen nach dem SGB XI zwischen 1999 und 2019 fast verdoppelt.6Vgl. Bundesgesundheitsministerium: Beschäftigte in der Pflege. Personal in Pflegeeinrichtungen (nach der Pflegestatistik 2019). 7Vgl. Bundesagentur für Arbeit: Tag der Pflege: Mehr Beschäftigte in Pflegeberufen. Presseinfo Nr. 19, 07.05.2021

Laut Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), fehlen heute 200.000 Pflegekräfte in Deutschland. Bis zum Jahr 2030, wenn die Anzahl der Pflegebedürftigen voraussichtlich 5,1 Millionen8Vgl. Grabow, J.: Neuigkeiten. 4,13 Millionen Pflegebedürftige. Curacon 2020 betragen soll, werden weitere 300.000 Pflegefachkräfte benötigt werden. Der Mehrbedarf soll dann insgesamt 500.000 Stellen betragen, so Vogler9Vgl. ärzteblatt.de: Wir wissen, dass 2030 circa 500.000 Pflegekräfte fehlen werden. 12. Oktober 2021. Auf die gleiche Zahl kommt auch der Pflegereport 2030 der Bertelsmann Stiftung.10Vgl. Etgeton, S.: Die Versorgungslücke in der Pflege wächst. Bertelsmann Stiftung, https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/abgeschlossene-projekte/pflege-vor-ort/projektthemen/pflegereport-2030/ Report: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/GP_Themenreport_Pflege_2030.pdf Statista geht demgegenüber von einem Gesamtbedarf von 493.603 an stationären und ambulanten Pflegekräften bis zum Jahr 2035 aus.11 Vgl. statista.de: Prognostizierter Bedarf an an stationären und ambulanten Pflegekräften in Deutschland bis zum Jahr 2035

Wie ist das Verhältnis zwischen Stellenangeboten und Arbeitssuchenden?

Gemäß Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Mai 2021 kamen im vergangenen Jahr auf 100 gemeldete Stellen in Deutschland lediglich 26 arbeitssuchende Pflegekräfte (laut der IW-Trends 3/2018 des Instituts der Deutschen Wirtschaft sollen lediglich 22 arbeitslose Altenpfleger auf 100 gemeldete offene Stellen kommen)12Vgl. Flake, R. et al.: IW-Trends 3/2018: Fachkräfteengpass in der Altenpflege – Status quo und Perspektiven. Institut der Deutschen Wirtschaft, 2018 Vor 10 Jahren, also 2010, kamen auf 100 offene Stellen noch 50 arbeitslose Altenpfleger und -pflegerinnen.

In der Krankenpflege sieht es ähnlich aus. Im letzten Jahr kamen auf 100 freie Stellen 47 Nachfrager. 10 Jahre zuvor waren es hier noch 96 Krankenpfleger und -pflegerinnen.

In beiden Fällen – also sowohl in der Altenpflege als auch in der Krankenpflege – ist die „Nachfrage“ in den letzten 10 Jahren um die Hälfte eingebrochen.13Vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Nürnberg, Mai 2021 Was es bedeuten würde, wenn sich dieser Trend so fortsetzen würde, mag man sich kaum ausmalen.

Wie viele Patienten kommen auf eine Pflegekraft?

Laut Initiative Pflegenot-Deutschland, ein Projekt des deutschen Pflegehilfswerk e.V. in Zusammenarbeit mit professionell Pflegenden und Pflegebedürftigen, beschert uns dies in einer ganzen Reihe von Pflegeheimen heute aber schon eine Realität, wo teils 15 Bewohner von einer Pflegekraft versorgt werden14Vgl. Deutsches Pflegehilfswerk e.V. i.G.: Arbeitsagenturen melden Engpässe. Personalmangel in der Pflege verschärft sich weiter.. Ein Zustand also, der alles andere als eine bestmögliche Versorgung und liebevolle Betreuung ermöglicht, welche bei einem durchschnittlichen Pflegemix ein Verhältnis von 3,4 bzw. 3,9 Bewohnerinnen und Bewohnern pro Pflegekraft (in Hessen) nicht überschreiten sollte.

Der Personalschlüssel in den deutschen Krankenhäusern scheint ebenfalls nicht auskömmlich zu sein. Zumindest impliziert das ein internationaler Vergleich von Prof. Dr. Michael Simon. Während in Deutschland im Schnitt 13 Patienten von einer Pflegekraft in Kliniken versorgt werden, sind es in den USA nur 5,3.15Vgl. Hans Böckler Stiftung: Pflege: Untergrenzen reichen nicht aus. Böckler Impuls, Ausgabe 16/2018

Wie hoch ist die Fachkraftquote?

Alle vollstationären Pflegeeinrichtungen, die einen Versorgungsvertrag nach dem Sozialgesetzbuch XI vorweisen, müssen gemäß Heimpersonalverordnung eine Fachkraftquote von 50 Prozent erfüllen. Die Fachkraftquote sagt etwas über das Verhältnis von Pflegefachkräften zu Hilfskräften aus.

Konkret bedeutet dies, dass bei mehr als vier pflegebedürftigen Personen jede zweite Pflegekraft eine Fachkraft mit einer entsprechenden Ausbildung sein muss. Keine Fachkräfte im Sinne der Heimpersonalverordnung sind Altenpflegehelferinnen und -helfer, Krankenpflegehelferinnen und -helfer sowie vergleichbare Hilfskräfte.

Bedingt durch den großen Personalmangel gelingt es Einrichtungen jedoch immer seltener, diese 50 Prozentquote einzuhalten. Laut aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sank der Anteil der Fachkräfte seit 2020 von 52 Prozent auf 49,7 Prozent. Spiegelbildlich dazu stieg der Anteil der Pflegehelfer in den Einrichtungen um knapp 3 Prozentpunkte auf 48,8 Prozent. 16Vgl. Ärztezeitung: Pflege: Zahl der Hilfskräfte steigt – die der Fachkräfte sinkt. 16.09.2021 17Vgl. spiegel.de: Personalmangel: Fast jede zweite Altenpflegerin ist Hilfskraft. 16.09.2021

Da es mittlerweile jedoch möglich ist, 10 Prozent des Pflegepersonals in sogenannte Unterstützungsdienste (z. B. Service) zu verschieben, liegt die Fachkraftquote in der überwiegenden Anzahl der Einrichtungen heute de facto eher bei 42 bis 43 Prozent. Sofern ein Pflegeheim nachweislich die Fachkraftquote pro Schicht einhält und auch sonst einen sehr hohen Qualitätsstandard nachvollziehbar belegen kann, werden in Ausnahmefällen auch Fachkraftquoten von unter 40% toleriert.

Die 50 Prozent Fachkraftquote gilt in dieser Form nunmehr seit knapp 25 Jahren. Es ist jedoch umstritten, ob die Fachkraftquote ein geeignetes Instrument zur Überwachung der Qualität von Pflegeeinrichtungen ist, da sie nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Der Gesetzgeber hat dieses Defizit im Rahmen der Pflegestärkungsgesetze erkannt und einen verbindlichen Prozess zur Erarbeitung von Personalbemessungsinstrumenten eingeleitet.

Personalmangel ambulante Pflege

In der ambulanten Pflege ist der Personalmangel ebenso groß. Dies offenbarte eine bundesweite Befragung des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) bei 535 ambulanten Pflegediensten, welche im September 2019 veröffentlicht wurde. Dort gab gut die Hälfte der Befragten (53 Prozent) an, dass in ihrem Dienst Stellen für Pflegefachpersonen seit mindestens drei Monaten unbesetzt sind.

Rechnet man dies hoch, so gibt es demnach in Deutschland etwa 16.000 solcher offenen Stellen in ambulanten Pflegediensten. 80 Prozent der Pflegedienste berichten ferner, in den letzten drei Monaten Versorgungs-Anfragen abgelehnt zu haben, weil sie die Pflege nicht hätten sicherstellen können. 13 Prozent der Dienste gaben außerdem an, in den letzten drei Monaten Klienten gekündigt zu haben, weil sie deren Versorgung nicht hätten sicherstellen können. 18Vgl. ZQP Stiftung: Personalmangel in der ambulanten Pflege gefährdet gute Versorgung. 25.09.2019

Personalmangel Krankenhaus

Der Personalmangel in den Krankenhäusern ist gravierend. Dieser Notstand zeigt sich im Alltag der Krankenhäuser laut Thomas van den Hooven, Pflegedirektor des Universitätsklinikums in Münster, wie folgt: „Wir können heute 120 der 2.000 Vollzeitstellen im Pflegedienst nicht besetzen“, sagt van den Hooven. „Die Folge ist: Wir haben aktuell circa 50 Betten geschlossen. Zwölf Prozent unserer OP-Saal-Kapazitäten können wir nicht nutzen. Das hat natürlich auch Folgen für das wirtschaftliche Ergebnis.“

Matthias Scheller, der Vorstandsvorsitzende des Albertinen-Diakoniewerks aus Hamburg, berichtete aus seinem Haus: „Wir mussten Betten schließen und wir mussten geplante Operationen absagen, weil wir nicht genügend Pflegekräfte haben.“ 19Vgl. Osterloh, F.: Pflegemangel im Krankenhaus: Die Situation wird immer dramatischer. ärzteblatt.de, 2018

Dabei muss man berücksichtigen, dass in den letzten Jahren in den Krankenhäusern massiv Stellen beim Pflegedienst abgebaut wurden. Im Zeitraum zwischen 1995 und 2010 umfasste dieser Abbau 44.358 Vollzeitstellen, was einem Minus von 12,7 Prozent entspricht20Vgl. Böll, U. et al.: 20 Jahre Krankenhausstatistik. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2012. Prof. Dr. Michael Simon geht von einem aktuellen Fehlbedarf in Höhe von 100.000 Stellen in den Pflegediensten der Krankenhäuser aus. Auf dieses Ergebnis kam seine Studie „Von der Unterbesetzung in der Krankenhauspflege zur bedarfsgerechten Personalausstattung“, welche im Oktober 2018 veröffentlicht wurde.21Vgl. Simon, M.: Working Paper Forschungsförderung Nummer 096: Von der Unterbesetzung in der Krankenhauspflege zur bedarfsgerechten Personalausstattung. Hans Böckler Stiftung, Oktober 2018

Hinzu kommt: Auch im internationalen Vergleich sieht es düster aus. Vergleicht man die Personalbesetzung im Pflegedienst von Krankenhäusern pro 1.000 Einwohner in Deutschland mit Frankreich, Belgien, USA, Schweiz, Österreich, Dänemark und Norwegen, dann bildet die BRD das Schlusslicht (siehe Grafik).22Vgl. Hans Böckler Stiftung: Auf einen Blick. Arbeitsbedingungen in der Pflege. 11.11.2021

Personalmangel Krankenhaus Prognose 2030

Das Deutsche Krankenhaus Institut geht davon aus, dass bis 2030 ein Personalmehrbedarf allein in den Krankenhäusern in Höhe von 62.700 (Trendfortschreibung bei konstanten Personalschlüsseln) bzw. 106.700 (Trendfortschreibung und verbesserte Personalschlüssel um 1 VK pro Schicht) zu erwarten ist. Die maßgeblichen Einflussfaktoren sind dabei die steigenden Fallzahlen und Pflegebedürftigen.23Vgl. Blum, K. et al.: Situation und Entwicklung der Pflege bis 2030. Deutsches Krankenhaus Institut, März 2019

Personalmangel Pflege – regionale Unterschiede

Auch wenn die Studie „Monitoring Pflegepersonalbedarf Bayern“24Vgl. VdPB: Monitoring Pflegepersonalbedarf Bayern 2020. Downloads der gesamten Studie und der Regionalberichte nur ein Bundesland untersucht hat, ist es naheliegend, deren Ergebnisse als Indikator für alle übrigen Bundesländer zu betrachten. Konkret haben Prof. Dr. habil. Thomas Klie mit dem Institut AGP Sozialforschung an der EH Freiburg und Prof. Dr. Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung für die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) unter anderem herausgefunden, dass der Pflege-Arbeitsmarkt sehr lokal ist. 25Vgl. Klie, T.: Personalnotstand in der Pflege. Evangelische Hochschule Freiburg, 07.10.2021

„Wir können aus dem Versorgungsindex herauslesen, dass sich wohl im ostbayerischen Raum – sprich im Bayerischen Wald – eine große Lücke auftut“, sagte Sigl-Lehner, Präsident des VdBP. Zudem bestätigte sich, dass sich in Ballungsräumen mehr Pflegeausbildungsstätten finden als im ländlichen Raum. Und freilich wirke sich so etwas positiv auf die Zahl der regional vorhandenen Pflegekräfte aus. Fazit: In der Regel ist der Personalbedarf in ländlichen Gebieten größer als in Städten und Ballungsräumen. Wobei es auch hier Ausnahmen gibt.26Vgl. Mittler, D.: Die Pflegekräfte gehen aus. Süddeutsche Zeitung, 01.10.2021

Ausland: Personalmangel Pflege Schweiz

In der Schweiz sind 214.000 Personen im Pflegesektor beschäftigt.27Vgl. Jorio, L. et al.: Pflegepersonal in der Schweiz: gestresste und unterbezahlte Helden. swissinfo.ch, 12. Mai 2020 Nach Auffassung des Vereins „Ja zur Pflegeinitiative“ ist der Personalmangel in der Schweiz ebenfalls sehr groß. „Derzeit sind dort 11.700 Stellen in der Pflege unbesetzt und bis 2029 braucht es weitere 70.000 neue Pflegende. Zudem verlassen 4 von 10 Pflegenden ihren Beruf frühzeitig.“28Vgl. Verein „Ja zur Pflegeinitiative“: Text Webseite (Startseite). Bern, Dezember 2021

Ausland: Personalmangel Pflege Österreich

Die Situation in Österreich scheint aktuell noch vergleichsweise entspannt zu sein. Die erste Unterdeckung wird für 2024 erwartet.

Laut der Pflegepersonal-Bedarfsprognose für Österreich, welche von der Gesundheit Österreich GmbH im Auftrag des Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz 2019 erstellt wurde, sind in Österreich zurzeit rund 127.000 Pflege- und Betreuungspersonen (100.600 Vollzeitäquivalente) im akutstationären Bereich und im Langzeitbereich beschäftigt. Davon entfallen etwa 67.000 auf die Krankenhäuser und circa 60.000 auf den Langzeitbereich.

  • Der Ersatzbedarf aufgrund von Pensionierungen liegt im Jahr 2030 bei rund 42.000 zusätzlich benötigten Pflege- und Betreuungspersonen.
  • Der Zusatzbedarf aufgrund der demografischen Entwicklung und unter Berücksichtigung eines Ausbaus mobiler Dienste liegt im Jahr 2030 bei rund 34.000 zusätzlich benötigten Personen. Davon werden etwa 13.000 Personen im Krankenanstaltenbereich und rund 21.000 im Langzeitbereich benötigt.

Die Gesamtsumme aus Zusatzbedarf und Ersatzbedarf liegt somit bei etwa 76.000 zusätzlich benötigten Personen in der Pflege im Zeitraum von 2017 bis 2030. Das entspricht einem jährlichen Bedarf von 3.900 bis 6.700 zusätzlichen Personen. Dem stehen rund 5.755 Absolventinnen und Absolventen der unterschiedlichen Schulen im Jahr 2016 gegenüber. Wobei aufgrund sinkender Schülerzahlen voraussichtlich auch mit einem Rückgang der Absolventenzahlen zu rechnen ist. Die Studienautoren befürchten, dass der Personalbedarf aufgrund dieses Absolventenrückgangs spätestens im Jahr 2024 nicht mehr gedeckt werden könne.29Vgl. Gesundheit Österreich GmbH: Pflegepersonal-Bedarfsprognose für Österreich. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 2019

Personalmangel Pflege Corona

Die Corona-Pandemie kann man durchaus als eine Art Brandbeschleuniger für den Personalnotstand bezeichnen. Einer COVID-19-Pflegestudie der Diakonie Deutschland zufolge, berichten 53 Prozent der Pflegekräfte in der stationären Altenhilfe des evangelischen Wohlfahrtsverbands bereits Ende 2020 über zusätzlichen Personalmangel.30Vgl. evangelisch.de: Diakonie-Pflege-Studie: Personalmangel durch Corona verschärft. 02.12.2020 Die ÄrzteZeitung schreibt, dass allein in der Zeit von Mai bis Ende Juli 2020 circa 9.000 Pflegekräfte ihren Job an den Nagel gehängt hätten.31vgl. aerztezeitung.de: Zahlen vom Arbeitsmarkt. Corona-Pandemie sorgt offenbar für „Pflegexit“. 09.03.2021

Bei einer repräsentativen Umfrage der Diakonie und Midi, der Zukunftswerkstatt von Diakonie und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), unter Diakonie-Mitarbeitenden in der Altenhilfe, gaben zwei Drittel der Befragten an, dass der durch COVID-19 bedingte Personalausfall nur durch Mehr­arbeit und eine Umverteilung von Personal innerhalb ihrer Einrichtung kompensiert werden konnte.32Vgl. aerzteblatt.de: Personalmangel größtes Hindernis für die Pflege in der Coronapandemie. 2.12.2020

Eine weltweite Umfrage unter den Mitgliedsverbänden des International Council of Nurses (ICN), deren Ergebnisse im April 2021 veröffentlicht wurden, zeigt, dass sich die Pandemie nicht nur kurzfristig negativ auf den Personalmangel auswirkt, sondern dass der COVID-Effekt zudem auch noch sehr massiv in den kommenden Jahren spürbar sein wird. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht dieses Problem auch für Deutschland bestätigt. 33 Vgl. International Council of Nurses: Nursing education and the emerging nursing workforce in COVID-19 pandemic. April 2021 34Vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe, DBfK e.V.: COVID-Effekt: weltweiter Personalmangel in der Pflege befürchtet. 29.04.2021

In den Krankenhäusern sah es bisweilen ähnlich aus. Laut einer Online-Studie der Alice Salomon Hochschule Berlin, an der 31 Pflegedienstleitungen aus Berliner und Brandenburger Kliniken befragt wurden, hatte rund die Hälfte der Krankenhäuser im April 2020 angegeben, nicht über ausreichend Personal zu verfügen. Wobei die Mehrheit der Häuser schon zuvor Maßnahmen zur Umverteilung von Personal ergriffen hatte, z. B. durch Absage nicht notwendiger Behandlungen.35Vgl. springerpflege.de: Pflege-Studie: Knackpunkt Personalmangel. 20.08.2020

Personalmangel Pflege im Vergleich zu anderen Branchen

Der Personalmangel beschränkt sich gemäß Fachkräfteengpassanalyse 2020 der Bundesagentur für Arbeit jedoch nicht allen auf die Pflege. Personalnotstand herrscht auch bei medizinischen Berufen, in Bau- und Handwerksberufen sowie in IT-Berufen.36Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung: Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfteengpassanalyse 2020. Nürnberg, Dezember 2021

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Personalmangel Pflege – Ursachen & Treiber

Was sind die Gründe für den Personalmangel in der Pflege? Warum haben wir einen Pflegenotstand? Und weshalb gibt es immer weniger Pflegekräfte? Nun, Tatsache ist, dass der Personalmangel in der Pflege Ausdruck einer komplexen Misere ist, die auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden kann. Daneben gibt es diverse Treiber, die zur Verschärfung des Grundproblems beitragen.

LUCI – Personalmangel Pflege - Ursachen
Das Grundproblem: Die Alterung der Gesellschaft (demografischer Wandel)

Das zentrale Grundproblem, welches den Personalmangel verursacht, ist der demografische Wandel. Damit ist gemeint, dass sich die Zusammensetzung der Bevölkerung verändert. Das geschieht schon seit ein paar Jahrzehnten und es wird sich auch noch ein paar weitere Jahrzehnte fortsetzen.

Der demografische Wandel wird von 3 Komponenten direkt beeinflusst: Geburten, Sterbefälle sowie Zu- und Abwanderung. Im Zusammenhang mit der Geburt ist die Lebenserwartung eine wesentliche Einflussgröße. Nach den Ergebnissen der Sterbetafel 2018/2020 beträgt die Lebens­erwartung neu­geborener Jungen 78,6 und die der Mädchen 83,4 Jahre. Damit hat sie sich seit Beginn der statistischen Auf­zeichnungen zum Ende des 19. Jahrhunderts mehr als ver­doppelt.37Vgl. Statistisches Bundesamt DESTATIS: Bevölkerung: Lebenserwartung und Sterblichkeit. Wiesbaden; 2021

Da nun die Zahl der Geburten und der jüngeren Menschen sinkt und gleichzeitig die Zahl der älteren Menschen zunimmt​38Vgl. Statistisches Bundesamt DESTATIS: Bevölkerung – Demografischer Wandel. Wiesbaden 2021, bedeutet das für die Deutschen unterm Strich: Wir werden immer älter!

Weil es immer mehr ältere Menschen gibt und sie aufgrund der steigenden Lebenserwartung auch noch immer älter werden, steigt der Pflegebedarf, und mit ihm der Bedarf an Pflegenden.

Schlechte Arbeitsbedingungen & dürftige Work-Life-Balance

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind alles andere als rosig. Da Menschen ausnahmslos rund um die Uhr und an jedem Tag der Woche Pflege benötigen, ist hier typischerweise Schichtdienst angesagt. Studien zeigen, dass Schichtarbeit Arbeitnehmern selbst schon besonders viel abverlangt. Bei gleicher Tätigkeit steigt die objektive Belastung in den verschiednen Schichten:

  • Frühschicht: 100%
  • Spätschicht: 113%
  • Nachtschicht: 156%

Das liegt daran, dass der Mensch in der Spät- und Nachtschicht entgegen seiner „inneren Uhr“ arbeitet. Der biologische Rhythmus bedingt, dass der Mensch von Natur aus tagaktiv ist und sein Leistungsvermögen nach dem Mittag kontinuierlich nachlässt39Vgl. Reimers, M.: Bachelorarbeit Im Studiengang Gesundheitswissenschaften: Betriebliche Gesundheitsförderung von Beschäftigten in Schichtarbeit. Hochschule für Angewandte WissenschaftenFakultät Life Sciences, Hamburg 2012; S. 10. Schichtarbeit ist also schon von Haus aus eine Belastung für den Organismus.

Schichtarbeit erzwingt zudem einen Verzicht auf regelmäßige soziale Kontakte und führt zu einer mangelnden Beteiligung an gesellschaftlichen Ereignissen. Die Organisation des Familien- und Privatlebens wird deutlich erschwert, was in der Summe eine verminderte Work-Life-Balance nach sich ziehen kann.40Vgl. Wiener, B.: Arbeitszeit – Zeitarbeit. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2013, S. 244

Als schlechte Arbeitsbedingung kann man ebenfalls die geringe Gestaltungsmöglichkeit der Arbeitszeit werten.

Hohe physische Arbeitsbelastung

Der Pflegereport 2020 der BARMER zeigt auf, dass rund 92 Prozent der Altenpflegekräfte häufig im Stehen arbeiten (im Vergleich zu 47 Prozent in sonstigen Berufen) und knapp 76 Prozent häufig schwer heben oder tragen müssen (gegenüber 15 Prozent in sonstigen Berufen). „Deutlich häufiger sind zudem das Arbeiten in Zwangshaltungen (45 Prozent zu 11 Prozent), das Arbeiten mit mikrobiologischen Stoffen (59 Prozent zu 9 Prozent) und Arbeiten bei grellem Licht oder bei schlechter Beleuchtung (11 Prozent zu 7 Prozent).41Vgl. Rothgang, H. et al.: Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse – Band 26: BARMER Pflegereport 2020. Belastungen der Pflegekräfte und ihre Folgen. birg Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung, Berlin 2020, S. 145

Das Institut DGB-Index Gute Arbeit stellt ebenso eine überdurchschnittlich schwere körperliche Arbeit fest und identifiziert als weitere Belastungsquellen die Arbeit unter Lärm und widrigen Umgebungsbedingungen wie Kälte, Hitze, Nässe oder Zugluft.42Vgl. Institut DGB-Index Gute Arbeit: Jahresbericht 2021. Ergebnisse der Beschäftigungsbefragung zum DGB-Index Gute Arbeit 2021. Berlin 2021, S. 81

Hoher Zeitdruck und andere psychische Belastungsfaktoren

Frau Prof. Dr. Hildegard Theobald hat eine Vergleichsstudie der Pflegearbeit in Deutschland, Japan und Schweden erstellt, welche 2018 veröffentlicht wurde. In dieser Arbeit legt sie dar, dass in Deutschland 54 Prozent der ambulanten Pflegekräfte von regelmäßigem Zeitdruck berichten. Wöchentlich Überstunden fallen bei 52 Prozent von ihnen an.

Noch schlimmer sieht es im stationären Bereich aus: Hoher Zeitdruck wird hier bei 73 Prozent der stationären Altenpflegekräfte attestiert. Für die schlechten Arbeitsbedingungen von Pflegekräften macht die Forscherin festgelegte Aufgabenkomplexe in engen Zeitkorridoren und dünne Personaldecken verantwortlich.43Vgl. Theobald, H. et al.: Study Nr. 383: Pflegearbeit in Deutschland, Japan und Schweden. Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf 2018

Ferner geht aus einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hervor, dass Stress und Überforderung bei den Pflegekräften zum Alltag gehören. So fühlen sich 45 Prozent der Alten-und Krankenpfleger etwa doppelt so häufig wie andere Erwerbstätige (21 Prozent) angesichts ihrer Arbeitsmenge überfordert.

75 Prozent der Krankenpflegekräfte geben an, dass sie häufig verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig ausüben müssen. Zwei Drittel von ihnen spüren starken Termin- und Leistungsdruck. Sie beklagen ferner, bei der Arbeit häufig gestört und unterbrochen zu werden. Knapp zwei Fünftel sehen sich an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Das sind mehr als doppelt so viele wie bei nicht pflegenden Arbeitnehmern.

Dieses Bild wiederholt sich bei den Altenpflegekräften. Von ihnen beklagen mehr als die Hälfte, immer wieder schnell arbeiten zu müssen. Mehr als viermal so häufig wie in anderen Berufen geraten die Altenpflegekräfte in emotional belastende Situationen.44Vgl. Lück, M. et al.: Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege. Höhere Anforderungen, mehr gesundheitliche Beschwerden. BIBB/BAuA, Januar 2020

Berufsgruppe am Limit: viel Verantwortung, wenig Geld

Pflegefachkräfte tragen eine große Verantwortung in ihrer Arbeitszeit. Sie sind verantwortlich für die Gesundheit und das Wohlbefinden der von ihnen betreuten Bewohnerinnen und Bewohner bzw. Patientinnen und Patienten. Im Notfall, also beispielsweise bei Stürzen, Atemnot oder einem Schlaganfalls müssen sie schnell Entscheidungen treffen. Liegen sie falsch, kann das erhebliche Folgen haben. Schlimmstenfalls kann das auch das Ableben eines zu Pflegenden nach sich ziehen.

Demgegenüber steht eine Bezahlung, die dieser Verantwortung jedoch eher nicht gerecht wird. Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2019 liegt der Bruttolohn einer Altenpflegefachkraft derzeit bei 3.034 Euro und der einer Altenpflegehilfskraft bei 2.146 Euro (Medianentgelte). In der Krankenpflege erhalten Fachkräfte 3.539 Euro und Hilfskräfte 2.675 Euro. Dies zeigt: Es gibt ein deutliches Lohngefälle zwischen Alten- und Krankenpflegekräften.45Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung: Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfteengpassanalyse 2020. Nürnberg, Dezember 2021, S. 8

Wenig Wertschätzung & schlechtes Image des Berufs

Zwischen Februar und April 2021 hatte das Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Infas) im Auftrag der Arbeitnehmerkammer Bremen eine repräsentative Befragung von über 3.000 Beschäftigten in Bremen und Bremerhaven durchgeführt. Das Ergebnis: Von den Beschäftigten in Praxen, Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen fühlen sich nur 54 Prozent genügend von der Gesellschaft und der Politik anerkannt. Vor der Corona-Pandemie (2019) lag der Wert noch bei 60 Prozent.46Vgl. Schütz, H. et al.: Bericht: Koordinaten der Arbeit im Land Bremen. Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, Bonn, August 2021, S. 54

Wenn man davon ausgeht, dass sich gesellschaftlicher Respekt auch in angemessener Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen ausdrücken sollte, hier aber wie man weiter oben lesen konnte – Handlungsbedarf gegeben ist, dann ist auch nachvollziehbar, warum die Umfrage-Ergebnisse bzgl. Wertschätzung so schlecht sind.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Pflegeberufe Image-Probleme haben. Und das, obwohl sie so sinnstiftend sind. Wobei die Krankenpflege noch besser davonkommt als die Altenpflege. „Während die Krankenpflege noch von der Nähe zur Medizin profitiert, steht die Altenpflege in der Hierarchie ganz unten“, berichtet Stefan Görres, Leiter des Instituts für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen, der Süddeutschen Zeitung.

Alter ist in unserer Gesellschaft per se negativ besetzt und wird sehr stark mit Krankheit, Tod und Sterben assoziiert – auch wenn sich dieses Bild wegen der großen Zahl fitter und wohlhabender Senioren langsam zu ändern beginnt. Dazu kommt, dass es immer mal wieder Skandale um schlecht geführte Heime gibt.“47Vgl. Hoffmeyer, M.: Wenige Berufe sind so sinnstiftend. sueddeutsche.de, 2014

Verstärkte Berufsaufgabe, Arbeitszeitverkürzung und Frühverrentung

Gute Arbeitsbedingungen, Wertschätzung, eigene Gestaltungsmöglichkeiten sowie gute Einkommensperspektiven sind Faktoren, die zu einer stärkeren Bindung von Beschäftigten an ihr Unternehmen führen. Da die Pflege aber in all diesen Bereichen nicht wirklich glänzen kann, erstaunt es sicherlich wenig, dass die Pflegekräfte unzufrieden sind und flüchten. Runter mit der Arbeitszeit. Oder ganz raus aus dem Beruf. So machen es viele Pflegekräfte, die mit den widrigen Bedingungen nicht mehr klar kommen.

Laut Pflexit-Monitor, eine Umfrage mit 300 Pflegekräften, welche durch das Institut DocCheck im Auftrag der Paul Hartmann AG durchgeführt wurde, haben 54% kürzlich über einen Berufsausstieg nachgedacht. 50% würden den Beruf jüngeren Menschen nicht weiterempfehlen und 43 Prozent würden den Pflegeberuf nicht wieder wählen. Als Hauptgrund nennen 72% den permanenten Personalmangel.48Hartmann Online-Redaktion: Pflegekräfte denken über Ausstieg nach. 14.03.2018

Gemäß einer Studie des Inifes-Instituts können sich in der Kranken- und Altenpflege 77 bzw. 73 Prozent der Beschäftigten nicht vorstellen, ihren Beruf bis zum gesetzlichen Rentenalter auszuüben49Vgl. Conrads, R. et al.: Das Gesundheits- und Sozialwesen. Eine Branchenanalyse. Inniges Internationales Institut für Empirische Sozialökonomie, Stadtbergen 2015​. Der Anteil der Personen mit Erwerbsminderungsrente, die als valider Indikator für gesundheitsbedingte Berufsaustritte angesehen werden kann, liegt jährlich um 27 Prozent höher als in sonstigen Berufen.50Vgl. Rothgang, H. et al.: Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse – Band 26: BARMER Pflegereport 2020. Belastungen der Pflegekräfte und ihre Folgen. birg Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung, Berlin 2020, S. 210

„Leute, das schaffe ich nicht bis zur Rente“

Wie der Pflegepädagoge Dirk Schilder aus Münster der Redaktion drei von Verdi berichtet, denken bereits viele über einen Ausstieg während der Pflege-Ausbildung nach. „Am Anfang sind die Auszubildenden noch hoch motiviert, doch die Bedingungen auf den Stationen führen schnell zur Desillusionierung. Zuletzt wollten von einem ganzen Krankenpflegekurs nur zwei im Beruf weitermachen, die restlichen 28 nicht. Vor Kurzem hatte ich zehnjähriges Klassentreffen eines Kurses. Von denen war nur noch eine Einzige in der Pflege“, so Schilder.51Vgl. redaktion.drei@verdi.de: Nichts wie raus. Jul – Okt 2017

„Wir haben in Deutschland zurzeit 190.000 Pflegeschüler und die Abbrecherquote liegt gegenwärtig bei 30 Prozent. Wenn man das noch tiefer anguckt, kann man sagen, 15 bis 20 Prozent verlassen uns bereits im ersten Semester oder im ersten Ausbildungsjahr.“52Vgl. BibliomedPflege: Pflegeausbildung: Hohe Abbrecherquote zu Ausbildungsbeginn. 10.09.2021

Jens Reinwardt

Geschäftsführer, Akademie der Gesundheit Berlin/Brandenburg

Wer weder früher noch später aussteigen kann, zum Beispiel weil er finanzielle Verpflichtungen hat, der reduziert zumindest die Stunden – sofern machbar. Ein Drittel der in den Kliniken Beschäftigten würde gerne ihre Stelle reduzieren: „Hier kann man klar von Flucht in Teilzeit reden“, sagte Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer.53Vgl. Schütz, H. et al.: Bericht: Koordinaten der Arbeit im Land Bremen. Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, Bonn, August 2021, S. 54

Hoher Anteil an Teilzeitbeschäftigen

Beim Personalnotstand in der Pflege spielt auch der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigten eine große Rolle. Verhängnisvoll ist in diesem Zusammenhang, dass viele Einrichtungen sogar gezielt auf mehrere Teilzeitkräfte (anstatt einer Vollzeitstelle) setzen, um flexibler agieren zu können. „Rechnet man allein die Zahl der 730.000 Beschäftigten in Pflegeheimen auf Vollzeitstellen um, bleiben nur 552.000, so die Webseite pflegenot-deutschland.de.54Vgl. pflegenot-detuschland.de: Arbeitsagenturen melden Engpässe. Personalmangel in der Pflege verschärft sich weiter.

Die Situation bei den Schülern und Absolventen: hohe Abbruchraten

Laut der letzten bundesweiten Erhebung der Ausbildungsstrukturen an Altenpflegeschulen (BEA) gibt es in Deutschland aktuell 292 Altenpflegeschulen, welche im Durchschnitt zu 87 Prozent ausgelastet sind55Vgl. Görres, S. et al.: Bundesweite Erhebung der Ausbildungsstrukturen an Altenpflegeschulen (BEA). Institut für angewandte Pflegeforschung (iap), Bremen 2006, S. 52 ff.​. Im Jahr 2019 schlossen 45.000 Menschen ihre Ausbildung in einem Pflegeberuf (Altenpflege plus Gesundheits- und Krankenpflege) ab. Das sind 25 Prozent mehr als 10 Jahre zuvor.56Vgl. DESTATIS: Gestiegenes Interesse an Pflegeberufen: 71.300 Menschen haben 2019 eine Ausbildung begonnen. Pressemitteilung Nr. N 070 vom 28. Oktober 2020

Mangelnde Finanzierung: Reformen sind lange überfällig

Eine wesentliche Ursache für die Situation, in der wir heute stecken, ist die fehlende Ausrichtung der Pflegeversicherung an die realen Bedürfnisse der Bürger und Pflegenden. Mit dem SGB XI wurde 1995 die soziale Pflegeversicherung ins Leben gerufen. Aber während sich die Anforderungen an die Pflege in den vergangenen Jahren stark gewandelt und familiäre Strukturen sich immer weiter verändert haben, hat sich die Pflegeversicherung in den letzten 20 Jahren nur geringfügig angepasst.

Ein grundlegendes Problem des Finanzierungssystems ist die Funktionsweise der Pflegekasse. Sie übernimmt als „Sockel-Versicherung“ lediglich einen festgelegten Grundbetrag. Darüber hinausgehende Kosten zahlt die oder der Pflegebedürftige.

Das größte finanzielle Risiko tragen also die Versicherten. Da die Kosten immer weiter steigen, steigt auch der Eigenanteil. Im Juli 2021 zahlte ein Pflegeheimbewohner im Durchschnitt 2.125 Euro aus eigenen Mitteln dazu57Verband der Ersatzkassen (vdek): Daten zum Gesundheitswesen: Soziale Pflegeversicherung (SPV). 18.10.2021​. Da sich das immer weniger leisten können, muss das Sozialamt immer häufiger einspringen. Das belastet aber die ohnehin schon knappen Kassen der Kommunen.

Zeitarbeitsfirmen könnten den Pflegenotstand ebenso verschärfen

Politik, Krankenhäuser und Pflegeheime scheinen sich einig, dass Zeitarbeitsfirmen ein weiterer Treiber für den Personalmangel in der Pflege darstellen könnten. Viele Brancheninsider glauben zudem, dass sich dieses Problem massiv ausweitet. Die Bundesanstalt für Arbeit schreibt dazu in ihrem Bericht „Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich“: Waren es 2014 noch 12.000 Leiharbeitnehmer in der Krankenpflege so waren es 2018 schon fast doppelt so viele (22.000). Auch in der Altenpflege stieg die Zahl der Leiharbeiter in diesem Zeitraum merklich von gut 8.000 auf 12.000 im Jahr 2018.58Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung: Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfteengpassanalyse 2020. Nürnberg, Dezember 2021, S. 10

Das Problem mit den Zeitarbeitsfirmen ist mehrschichtig: So drücken beispielsweise die hohen Margen der Zeitarbeitsfirmen die geringen Gehälter der Mitarbeitenden in den Pflegeeinrichtungen. Hinzu kommt, dass Leiharbeiter häufig nicht in die Prozesse eingearbeitet sind, aber dennoch deutlich höhere Gehälter bei geringeren Arbeitszeiten und besseren Arbeitsbedingungen erhalten. Das frustriert natürlich die Festangestellten und bewegt sie außerdem dazu, auch zu Zeitarbeitsfirmen zu wechseln – ein sich selbst verstärkender Prozess.

Personalmangel Pflege:
Auswirkungen, Symptome, Folgen, Konsequenzen und Effekte

Wir haben uns nun ausführlich mit den Daten und Zahlen auseinandergesetzt, uns die aktuelle Situation angesehen, einen Ausblick in die Zukunft gemacht und die Ursachen und Treiber beleuchtet. Nun kommen wir zu dem, was daraus folgt.

Mehrarbeit und Überstunden

In der Konsequenz des Personalmangels häuft sich die Arbeit für das vorhandene Personal. Dieser Arbeitsverdichtung müssen die Träger mit einem umfassenden Ausfallmanagement begegnen, um leistungsfähig zu bleiben und Patienten bestmöglich versorgen zu können. Konkret bedeutet das für die aktuell knapp 1,8 Millionen Beschäftigten, Überstunden zu schieben – mehr pro Schicht und mehr Tage am Stück zu arbeiten, um die Lücken in der Personalbesetzung zu schließen. Die Unterbesetzung wird chronisch. Immer häufiger ist diese Mehrarbeit, welche oftmals unter schwierigen Bedingungen erbracht wird, aber eher die Regel als eine Ausnahme. Das zehrt nicht nur, es hat auch seine Grenzen.

„Das ist eine katastrophale Entwicklung. Wir steuern geradewegs auf den Kollaps zu.“

Negativspirale: weniger Erholung und mehr Erschöpfung

Diese Situation setzt eine Abwärtsspirale in Gang, die von vielen Vorständen, Geschäftsführern und Politikern der Pflegebranche unterschätzt wird. Da das Personal weniger wird, der Arbeitsaufwand aber gleich bleibt oder sogar zunimmt, erhöht sich nicht nur der Aufwand pro Mitarbeitenden. Der Zeitdruck nimmt auch zu. Und mit ihm die Belastung und Erschöpfung. Gleichzeitig entfallen häufig die Erholungsphasen, die als Ausgleich zu den hohen Arbeitsbelastungen aber dringend benötigt werden.

Die folgenden Zahlen unterstreichen dies: Fast immer körperlich erschöpft sind nach einem Arbeitstag in der ambulanten Pflege 46 Prozent der Pflegekräfte in Deutschland. Von den Beschäftigten in Pflegeheimen haben 70 Prozent mit körperlicher Erschöpfung zu kämpfen.59Vgl. Theobald, H. et al.: Study Nr. 383: Pflegearbeit in Deutschland, Japan und Schweden. Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf 2018

Schlussendlich veranlasst das wiederum Pflegekräfte noch mehr, ihre Arbeitszeit zu verkürzen oder aus dem Beruf auszusteigen.

Gesundheit: Psychische und psychosomatische Beschwerden

Parallel dazu steigt das Stresslevel immer weiter und die emotionale Belastung nimmt ebenfalls kontinuierlich weiter zu. Was anfänglich eine Ausnahme war, verfestigt sich und bewirkt bleibende Probleme. Wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) herausgefunden hat, zieht dieser Teufelskreis auch erhebliche Konsequenzen nach sich: Mehr als 60 Prozent von knapp 1000 dafür befragten Alten- und Krankenpflegerinnen berichten von drei oder mehr psychosomatischen Beschwerden. Damit sind sie Spitzenreiter, weit vor allen anderen Berufen.60Vgl. Lück, M. et al.: Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege. Höhere Anforderungen, mehr gesundheitliche Beschwerden. BIBB/BAuA, Januar 2020

Gesundheit: Körperliche Probleme

Der Personalmangel in der Pflege kann des Weiteren auch Konsequenzen für die körperliche Gesundheit haben. Nachfolgend einige Beispiele:

  • Mehr als die Hälfte der Pflegekräfte gab bei der vorgenannten BAuA-Umfrage an, unter drei oder mehr Beschwerden am muskoloskelettalen Apparat zu leiden. Auch hier liegt der Wert wieder deutlich über dem anderer Berufe.61Ebenda
  • Nacht- und Schichtarbeit stören den menschlichen Organismus beträchtlich und können eine Vielzahl von teils schweren Erkrankungen auslösen.62Paridon, H. et al.: Schichtarbeit. Rechtslage, gesundheitliche Risiken und Präventionsmöglichkeiten. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin 2012

Aufgrund der Negativspirale ist ein überdurchschnittlich häufiges Auftreten folgender Erkrankungen bei Pflegekräften zu erwarten:

Erhöhte Fehlzeiten und Arbeitsunfähigkeit

Es ist naheliegend, dass höhere Arbeitsbelastungen auch zu vermehrten Fehlzeiten am Arbeitsplatz führen können. Im Vergleich der Branchen wird für Pflegeheime, Alten- und Behindertenheime und die soziale Betreuung älterer Menschen und Behinderter eine erhöhte Zahl an Arbeitsunfähigkeitstagen festgestellt. Im Berufsvergleich können Altenpflegekräfte mit den höchsten Fehlzeiten aufwarten, die in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen tendenziell auch noch zunehmen. Außerdem wird die Schwere der Krankheit bei Pflegekräften höher bewertet.64Ebenda, S. 175

Mangelnde Pflegequalität sowie Einschränkung von Leistungen

Unter dem Personalnotstand leidet neben der Gesundheit der Pflegenden auch die Pflegequalität. Eine britische Studie konnte zeigen, das beinahe 90 Prozent der Pflegekräfte in ihrer jüngsten Schicht wichtige Arbeiten unerledigt lassen mussten.

In einer weiteren britischen Studie, die im BMJ Quality and Safety veröffentlicht wurde, stellte sich heraus, dass nun in staatlichen britischen Kliniken bestimmte Pflegeleistungen nicht mehr erbracht werden, weil es an Pflegekräften fehlt. 86 Prozent der für die Studie befragten Pflegekräfte gaben zudem an, dass während der jüngsten Schicht eine oder mehrere Pflegeaktivitäten wegen Zeitmangel nicht erledigt werden konnten.

Mit anderen Worten: Je weniger Pflegekräfte auf den Stationen im Einsatz sind, desto häufiger werden Krankenhauspatienten und Pflegeheimbewohner regelmäßig nicht ordentlich versorgt. Das Aufstellen und Aktualisieren von Pflegeplänen bleibt ebenso unerledigt wie die Aufklärung der Patienten. Es fehle aber auch die wichtige Zeit, mit den Bewohnern und Patienten zu reden und sie zu trösten.65Vgl. Lummer, S.: Personalmangel führt zu schlechter Pflege. Gesundheitsstadt Berlin, das Hauptstadtnetzwerk. 05.08.2013

Eine Studie zur Qualität in der Pflege der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) hat nicht nur ergeben, dass mittlerweile weniger als die Hälfte der Deutschen mit dem Pflege- und Servicepersonal in der Altenpflege zufrieden ist, sondern vor allem, dass die 1.010 Befragten als Hauptursache für ihre Unzufriedenheit den Personalmangel angaben.66Vgl. Deutsche Gesellschaft für Qualität (DQG): DGQ-Studie zur Qualität in der Pflege: Wie gut sind Deutschlands Pflegeeinrichtungen? 15. Mai 2019

Laut der Webseite pflegenot-deutschland.de sei die Situation in der Altenpflege schon heute besonders dramatisch, vor allem im ambulanten Bereich. Viele Pflegedienste würden keine neuen Patienten aufnehmen, einige seien sogar gezwungen, bestehende Verträge aufzulösen. Besonders alleinstehende Senioren würden dann natürlich vor einem großen Problem stehen.

Ähnlich würde es auch den ersten Alten- und Pflegeheimen ergehen, die wegen fehlendem Personal Patienten ablehnen müssten. Die Versorgung mit Pflegeleistungen sei damit in einigen Regionen bereits heute ernsthaft gefährdet.67pflegenot-deutschlang.de: Arbeitsagenturen melden Engpässe: Personalmangel in der Pflege verschärft sich weiter.

Vakanzen und Kosten

Eine Folge, die der Personalmangel mit sich bringt: Die durchschnittliche Vakanz Zeit bei der Besetzung neuer Stellen verlängert sich. Laut Ärzteblatt bleibt eine vakante Stelle in der Pflege aktuell im Schnitt circa 240 Tage unbesetzt.68Vgl. ärzteblatt.de: Wir wissen, dass 2030 circa 500.000 Pflegekräfte fehlen werden. 12. Oktober 2021

Unbesetzte Stellen kosten den Arbeitgeber mehr als ein Jahresgehalt

Wenn in Altenpflegeheimen und in Krankenhäusern das Personal knapp wird, dann hat das auch finanzielle Folgen für den Träger der Einrichtung. Bei einer Fachkraftstelle, die im Schnitt 240 Tage unbesetzt bleibt, muss der Arbeitgeber auf rund 45.600 Euro Umsatz verzichten. Auf der Basis der oben genannten Durchschnittslöhne (Bruttolohn Fachkraft Altenpflege 3.034 Euro pro Monat), kostet diese im Jahr aber „nur“ 36.408 Euro.

Bei Kliniken kommt erschwerend hinzu, dass nicht ausgelastete Stationen oder Operationssäle, die aufgrund fehlender Pflegefachkräfte nicht genutzt werden können, natürlich zusätzlich die Bilanzen belasten.

Lähmung: keine Entwicklung oder Innovation mehr

Hat der Personalmangel in einem Seniorenheim oder in einem Krankenhaus einmal ein gravierendes Ausmaß angenommen, versetzt das diesen Betrieb buchstäblich in einen Überlebensmodus: Man reagiert nur noch und springt von einem Brand zum nächsten. Gemacht wird nur noch, was wichtig und dringend ist. Alle Kräfte sind voll eingebunden, inklusive dem Führungspersonal. Ein Zustand, der mit einer Lähmung vergleichbar ist. Ein Zustand, in dem an zukunftsgerichtete, vorausschauende Handlungen nicht mehr zu denken ist. An Innovationen und Weiterentwicklungen ist in einem solchen Zustand nicht mehr zu denken.

Personalmangel Pflege Risiken

Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Qualität in der Pflege ZQP, warnt: „Personalmangel in der gesundheitlichen Versorgung und nicht zuletzt in der Pflege ist ein Risiko für die Patientensicherheit.“69Vgl. ZQP Stiftung: Personalmangel in der ambulanten Pflege gefährdet gute Versorgung. 25.09.2019​ Und damit scheint er leider voll ins Schwarze getroffen zu haben.

Denn ein Wissenschaftlerteam aus Großbritannien, Schweden und Italien hat 2019 herausgefunden, dass ein Risiko des Personalmangels darin besteht, dass sich dieser unmittelbar auf die Mortalität von Patienten auswirken kann. Die Forscher sammelten im Zeitraum zwischen April 2012 und März 2015 routinemäßig zusammengestellte Daten eines Akutkrankenhauses in Südengland. Die Analyse der Daten zeigte, dass die Sterbewahrscheinlichkeiten um 3 Prozent für jeden Tag stieg, an dem die professionelle Pflegebetreuung unterdurchschnittlich war.70Vgl. Griffiths, P. et al.: Nurse staffing, nursing assistants and hospital mortality: retrospective longitudinal cohort study. BMJ Quality & Safety 2019; 28:609-617

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Personalmangel Pflege Maßnahmen

Was tun gegen den Personalmangel in der Pflege? Nun, Lösungen bieten sich auf drei unterschiedlichen Ebenen an: der Mesoebene (Betrieb/Organisation), der Mikroebene (Individuum/Team) und der Makroebene (Staat/Politik/Gesundheitssystem).

Auf der ersten Ebene (Mesoebene) liegt der Fokus darauf, mehr Personal zu akquirieren, es besser einzusetzen, die anfallende Arbeit zu optimieren bzw. zu reduzieren sowie das Personal gegebenenfalls auch besser zu bezahlen. Auf der zweiten Ebene (Makroebene) liegt das Augenmerk darauf, die äußeren Rahmenbedingungen zu verbessern. Auf der dritten Ebene (Mikroebene) geht es darum, die angestellten Mitarbeitenden zu befähigen, besser zu kommunizieren und Konflikte zu managen sowie die persönliche Widerstandskraft (Resilienz) zu erhöhen.

Maßnahmen auf der Mesoebene – Betrieb/Organisation

Betriebe wie beispielsweise Pflegeheime können folgende Maßnahmen ergreifen, um dem Personalmangel in der Pflege entgegenzuwirken:
1. Optimierte Personalbeschaffung (Rekrutierung)
Wie gewinnt man heute die richtigen Mitarbeitenden in der Pflegebranche? Wie schafft man es, dass mehr Personen im eigenen Betrieb unterschreiben als bei der Konkurrenz? Das sind die zentralen Fragen, wenn es heute um die Beschaffung von neuem Personal geht. Folgende Maßnahmen sind geeignet, um diese Ziele zu erreichen:
  • Zeitgemäße Rekrutierungsstrategie / zeitgemäßes Personalmarketing umsetzen.
  • Personal aus dem Ausland rekrutieren: Das ist zwar sehr aufwendig und kostenintensiv, aber die Schließung von Betten ist kaufmännisch betrachtet noch teurer.
  • Personal mittels Prämien aus der Rente zurückholen.
  • Teilzeitkräfte zu Vollzeitkräften weiterentwickeln.
  • Eine Ausbildungsoffensive im eigenen Betrieb starten. Konkretes Best Practice Beispiel: „Wir haben massiv unsere Ausbildungsplätze erhöht“, berichtete die Vorsitzende der Geschäftsführung des Berliner Krankenhausunternehmens Vivantes, Dr. med. Andrea Grebe. „Wir haben die Kapazitäten verdoppelt.“71Vgl. Osterloh, F.: Pflegemangel im Krankenhaus: Die Situation wird immer dramatischer. Dtsch Arztebl 2018; 115(24): A-1154 / B-972 / C-968
  • Mitarbeiter werben Mitarbeiter und erhalten im Erfolgsfall Prämien.
  • Spannende Praktika und Schnuppertage anbieten.
  • Alumni-Netzwerk aufbauen sowie ehemaligen Mitarbeitern Prämien für Rückkehr anbieten.
2. Verbesserte Mitarbeiterbindung auf der Basis von guten Arbeitsbedingungen

Gute Pflege braucht gute Bedingungen, denn die Forschung hat gezeigt, dass eine rein quantitative Aufstockung des Personals verpufft, wenn sich nicht mindestens gleichzeitig auch die Arbeitsbedingungen verbessern.72Vgl. Stahl, K. et al.: Gute Pflege braucht gute Bedingungen. Studie Der Pickert Report 2015. Georg Thieme Verlag KG Stuttgart. 16.12.15​ Ähnlich sieht das auch Frau Kathrin Leffler73Vgl. https://www.linkedin.com/in/kathrin-leffler-7392a5ba/, Pflegedirektorin des BG Klinikums Unfallkrankenhaus Berlin74Vgl. https://www.bg-kliniken.de/unfallkrankenhaus-berlin/. Für sie besteht die zentrale Herausforderung darin, bestmögliche Bedingungen für das Stammpersonal zu schaffen, damit es möglichst lange, trotz teils hoher Arbeitsbelastung, im Beruf bleiben kann und auch will.75Vgl. ärzteblatt.de: „Der Personalmangel in der Pflege ist mit weitem Abstand das drängendste Problem“. 14.09.2021

„Wer weniger Personal verliert, der muss auch weniger Personal nachbesetzen.“

Mike Kaiser

Experte für Pflege und Unternehmertum in der Pflege

Denn die Rechnung ist einfach: Wer weniger Personal verliert, der muss auch weniger Stellen nachbesetzten. Nur das setzt eine top Mitarbeiterbindung auf der Basis von attraktiven Arbeitsbedingungen voraus. Aber wie kann man sein Personal stärker binden und optimale Arbeitsbedingungen schaffen? Nachfolgend finden Sie eine Reihe wertvoller Maßnahmen, um diese Herausforderung erfolgreich zu meistern:

  • Gutes Arbeitsverhältnis: Laut Bevölkerungsbefragung Arbeitsmotivation 2019 der ManpowerGroup sind gute Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten der wichtigste Faktor zur Arbeitsmotivation.76Vgl. MarktforschungsinstiturToluna: Bevölkerungsbefragung Arbeitsmotivation 2019. ManpowerGroup Deutschland, Dezember 2018Gute Beziehungen sind das Ergebnis einer zeitgemäßen Kultur. Einer modernen Kultur, die den Arbeitsplatz zu einem ganzheitlichen Erlebnis für den Mitarbeiter werden lässt (engl. Employee Experience, Workplace as an Experience, New Work). Eine Kultur, die Vertrauen schafft, verbindet und begeistert.
  • Flexible Arbeitszeiten & lebensphasengerechtes Arbeiten, also z. B. Gleitzeit, ein Arbeitszeitkonto oder Homeoffice, sofern das Stellenprofil dies ermöglicht.
  • Guter Kaffee.
  • Getränke und/oder Speisen werden kostenlos oder mittels einer Flatrate vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt.
  • Nutzung einer Mitarbeiter-App.
  • Individuelle Hilfeleistungen wie beispielsweise die Bereitstellung von Wohnraum, eines PKW’s oder anderer Fortbewegungsmittel. Ein Beispiel: Das Albertinen-Diakoniewerk hält allein in Hamburg 800 Wohnungen im Bestand, um diese im Bedarfsfall den eigenen Mitarbeitenden anbieten zu können.77Vgl. Osterloh, F.: Pflegemangel im Krankenhaus: Die Situation wird immer dramatischer. Dtsch Arztebl 2018; 115(24): A-1154 / B-972 / C-968
  • Kleine Aufmerksamkeiten: Machen Sie Ihren Mitarbeitern regelmäßig kleine Geschenke und zeigen Sie ihnen so Ihre Wertschätzung. Das kann eine gute Schokolade, ein Wohlfühl-Tee oder ein Kopfmassagestab sein.
  • Betriebliche Gesundheitsförderung: anteilige Kostenübernahme für ein Fitnessstudio, Yogakurse, Massagen, Rückenkurse, Walking, Ernährungskurse/Ernährungsberatung, Kurse zur Entspannung und zum Stressmanagement/Resilienztraining, Kurse zur Tabakentwöhnung.
  • Ansprechende Arbeitsumgebung mit Grünpflanzen.
  • Regelmäßige Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche.
  • Weiterbildungsangebote: Weiterbildung zur Betreuungskraft nach § 43b, 53c SGB XI (ehemals § 87b): Grundlagen der Altenpflege, Pflegehelfer/innen, mobile/r Pflegehelfer/in, Fachkraft für Gesundheits- und Sozialdienstleistungen (IHK), Fachkraft in der häuslichen Pflege, Fachkraft in der kultursensiblen Pflege; Fachweiterbildungen für Altenpflegekräfte: Fachaltenpfleger/in für Palliativ- und Hospizpflege, Fachaltenpfleger/in für gerontopsychiatrische Pflege, Fachaltenpfleger/in für klinische Geriatrie und Rehabilitation, Fachaltenpfleger/in für Onkologie, außerklinische Intensivpflege, Praxisanleitung für Pflege; Aufstiegsfortbildungen: Wohnbereichsleitung/ Pflegeteamleitung, Pflegedienstleitung (PDL), Einrichtungsleitung/ Heimleitung, Fachwirt in der Alten- und Krankenpflege, Qualitäts-Management-Beauftragter, Kultursensible Altenpflege; Seminare zu Themen wie Case Management, Gerontopsychiatrie, Hygiene, Kommunikation, Pflegedokumentation, Qualitätsmanagement, Schmerztherapie, Sterbebegleitung, Wundmanagement sowie Studien als Weiterbildung: Pflegewissenschaft, Pflegemanagement, Gerontologie, Pflegepädagogik, Pflegeleitung, Rehabilitation.
  • Verbesserung der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben (Work-Life-Balance) sowie die Schaffung von familienfreundlichen Strukturen: z. B. durch Eigenbetrieb von oder Unterstützung für Kita’s und Kindergärten sowie weitestmöglich verlässliche Dienstpläne.
  • Mitsprache und Integration: Mitarbeiter wünschen sich heute in der Mehrheit einen partizipativen Führungsstil, der ihnen Mitsprachemöglichkeiten bietet, z.B. über eine Mitarbeiter App. Das Verbessert nicht nur die Beziehung zu den Mitarbeitern, es führt am Ende auch zu besseren Ergebnissen.
  • Spannende Mitarbeiter-Events.
  • Berufsausstiege verhindern, indem die dahinterliegende Motivation eruiert und dem Mitarbeitenden geholfen wird, die entsprechenden Probleme zu lösen oder zu mildern.

3. Prozessoptimierung mittels Automatisierung und Digitalisierung

Automatisierung und Digitalisierung sind „Hype-Themen“. Viele Publikationen und Förderprogramme nehmen das Themenfeld auf. Nicht ohne Grund. Denn durch die Automatisierung und Digitalisierung von Tätigkeiten, die bislang von Menschen verrichtet wurden und sich ständig wiederholen, können viele positive Effekte erzielt werden: Die Qualität kann verbessert, die Prozesse beschleunigt und das Personal entlastet werden.

Rund 3 Prozent des Umsatzes investiert der Durchschnitt der deutschen Industrieunternehmen in ihre IT78Vgl. Katze, T.: Digitalisierung als Schlüssel für wirtschaftlich gesunde Kliniken. In: Smart Hospital. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2020, S. 18​. Laut der Krankenhausstudie 2021 der Unternehmensberatung Roland Berger hinkt der Krankenhaus- und Pflegesektor bei dieser Kennzahl jedoch deutlich hinterher. Lediglich 31 Prozent der Einrichtungen investieren mehr als 2 Prozent ihres Umsatzes in die Digitalisierung.79Vgl. Magunia, P. et al.: Verspielte Zukunft? Warum Deutschlands Kliniken jetzt investieren müssten, es aber nicht können. Roland Berger Krankenhausstudie 2021, München 2020, S. 11

Markus Hofelich, der für das Vincentz Network den digitalen Reifegrad der deutschen Pflegebranche analysiert hat, kommt zu einem ähnlichen Urteil: „Der Pflegesektor hat bei der digitalen Transformation noch einen großen Nachholbedarf und hinkt anderen Branchen weit hinterher“, so Hofelich. Das zeigt sich schon bei der grundlegenden technischen Ausstattung: „Nur 63% der befragten Pflegeeinrichtungen verfügen über einen WLAN-Anschluss“.80Hofelich, M.: Der digitale Reifegrad der deutschen Pflegebranche 2020. Vincent Network, Hannover 2020; S. 5

Damit sind Lösungen gefragt, die schnell und unkompliziert umsetzbar sind: Durch digitale Werkzeuge wie zum Beispiel eine Mitarbeiter App sind Einrichtungen in der Lage, im Handumdrehen in den Genuss von Vorteilen wie Effizienzsteigerung, Kosteneinsparung sowie Entlastung des Personals zu gelangen.

4. Verbesserung des Personaleinsatzes durch individuell abgestimmtes Mikromanagement
Sofern nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, kann eine Optimierung der Personaleinsatzplanung auf Mikroebene schnell wertvolle Effizienzsteigerungen nach sich ziehen. Um diesbezüglich schnell punkten zu können, sollten folgende Fragen im Kreis der Führungskräfte sowie mit den jeweiligen Teams diskutiert und beantwortet werden:
  • Welche Rollen und Personen sind überlastet und müssen dringend Tätigkeiten abgenommen bekommen?
  • Wer hat Kapazitäten frei und kann vorübergehend auch rollenfremde Tätigkeiten übernehmen?
  • Wie können standardisierte Abläufe und Dienste temporär so angepasst werden, dass sie unter den gegebenen Bedingungen zu besseren Ergebnissen führen?
  • Wie kann die Verschiebung von Aufgaben zwischen unterschiedlichen Diensten (z. B. Spät- und Nachtdienst) eine weitere Verbesserung bewirken?
  • Wo bestehen überdies akute Zeitfresser und unnötige Stressoren?

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5. Ggf. Anhebung der Personalentlohnung

Auch wenn bezüglich der Höhe der Vergütung bei vielen Einrichtungen bereits das Ende der Fahnenstange erreicht ist, so soll dieser Punkt hier der Vollständigkeit halber nicht fehlen. Denn eins ist unbestritten: Ein attraktives Gehalt ist ein wichtiger grundlegender Motivator und Hygienefaktor; eine Variable, die großen Einfluss darauf hat, wie stark sich der allgemeine Personalmangel in der eigenen Einrichtung widerspiegelt.

Laut einer Studie der österreichischen Strategieberatung EY-Parthenon aus dem Jahr 2020 setzen bereits 50% der befragten Gesundheitsdienstleister an, dass sie bereits auf höhere Gehälter setzen.81Vgl. Eggenberger, N.: EY-Studie: Personalmangel im öffentlichen und sozialen Sektor in Österreich. Ernst & Young, Wien 12/2020

Tipp: Realisieren Sie Einsparungen in anderen Unternehmensbereichen und nutzen Sie die frei gewordenen Ressourcen für eine Anpassung der Gehälter.

Maßnahmen auf der Makroebene – Staat/Politik/Gesundheitssystem

Neben der Mesoebene müssten natürlich auch Maßnahmen auf der Makrobene erfolgen, damit man dem Personalmangel in der Pflege auch wirklich nachhaltig entgegenwirken kann. Experten wie Kathrin Leffler, Pflegedirektorin des BG Klinikums Unfallkrankenhaus Berlin, mahnen schon seit geraumer Zeit Strukturveränderungen an: „Es muss endlich mit einem tiefgreifenden Umbau des Gesundheitssystems begonnen werden“.

Um solchen Forderungen nach wirkungsvollen strukturellen Maßnahmen von politischer Seite nachzukommen, hat die Bundesregierung 2019 zusammen mit Interessenvertretern, Verbänden und Entscheidungsträgern aus der Gesundheits- und Pflegebranche fünf Handlungsfelder definiert.82Vgl. Bundesministerium für Gesundheit: Schritt für Schritt – So machen wir Pflege besser

  1. Mehr Unterstützung für Pflegebedürftige & Angehörige – Die Pflegestärkungsgesetze sollen die Pflege zu Hause verbessern. Des Weiteren sollen Pflegebedürftige und Angehörige mehr Leistungen erhalten.83Weitere Informationen zu den Pflegestärkungsgesetzen finden Sie hier: PSG 1, PSG II, PSG III
  2. Ausbildung verbessern: Mit dem Pflegeberufegesetz84Vgl. Bundesministerium für Gesundheit: Pflegeberufegesetz und der ergänzenden Ausbildungs- und Prüfungsverordnung85Vgl. Bundesministerium für Gesundheit: Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe (PflAPrV) wurde die Pflegeausbildung neu strukturiert und eine Generalistikausbildung eingeführt. Das bedeutet, dass es keine separate Ausbildung mehr für Alten-, Gesundheits- und Krankenpfleger mehr gibt. Ab Januar 2020 gibt es nur noch eine Ausbildung, nämlich die zum „Pflegefachmann“ bzw. zur „Pflegefachfrau“, welche von der EU anerkannt ist.
  3. Stellen schaffen: Mit dem Sofortprogramm Pflege und dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz sollen ab 2019 bessere Arbeitsbedingungen und mehr Stellen geschaffen werden. In Krankenhäusern wird hierdurch jede zusätzliche Pflegekraft finanziert. In der stationären Altenpflege sollen 13.000 neue Stellen entstehen. Zudem soll jede Einrichtung bis zu 12.000 Euro für die Anschaffung von digitaler Ausrüstung erhalten.86Vgl. Bundesministerium für Gesundheit: Sofortprogramm Pflege. Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegepersonal-Stärkungsgesetz – PpSG)
  4. Stellen besetzen: Durch die Konzertierte Aktion Pflege (KAP)87Vgl. Bundesministerium für Gesundheit: Konzertierte Aktion Pflege hat die Bundesregierung im Juni 2019 zusammen mit einem Konsortium, bestehend aus Arbeitgebern, Arbeitnehmervertretern, Krankenkassen, Verbänden und anderen Experten aus dem Gesundheitswesen bzw. der Pflegebranche, ein Konzept zur Bekämpfung der Missstände in der Pflege und dem Pflegenotstand vorgestellt.Getrieben wurde die KAP vom Bundesministerium für Gesundheit (unter der Leitung von Jens Spahn), dem Bundesministerium für Arbeit (unter der Leitung Hubertus Heil) und dem Bundesministerium für Familie (unter der Leitung von Dr. Franziska Giffey).

    Gemäß KAP soll bundesweit nach Tarif bezahlt, ein am Bedarf orientierter Personalschlüssel eingeführt, die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte beschleunigt (Fachkräfteeinwanderungsgesetz88Vgl. Bundesregierung: Make it in Germany. Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe DeFa89Hier erhalten Sie weitere Informationen zur Deutschen Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe: https://www.defa-agentur.de/), die Zahl der Auszubildenden und Ausbildungseinrichtungen gesteigert und damit die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte insgesamt verbessert werden.

    Allgemein wird die KAP von verschiedenen Experten aus der Gesundheits- und Pflegebranche sehr kritisch gesehen. „Bei all den Bemühungen und als positiv zu wertenden Aktivitäten der Bundesre­gierung sind die Probleme der Profession Pflege nicht kleiner, sondern größer geworden“, so Pflege­ratspräsi­dentin Christine Vogler im August 2021. Die Verände­rungen seien „allesamt halbherzig, und bei den Pflegenden ist fast nichts angekommen“. Der wirkliche Reformwille habe gefehlt. „Schulterklopfen hilft hier genauso wenig wie Klatschen“, bilanziert Vogler90Vgl. ärzteblatt.de: Pflegerat kritisiert Bilanz der „Konzertierten Aktion Pflege“. 24. August 2021. Ähnliche Kritik kommt auch vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und Verdi.91Vgl. medi-karriere.de: Konzertierte Aktion Pflege (KAP): Kritik an zweitem Umsetzungsbericht

  5. Standards definieren (Personaluntergrenzen): In vier pflegesensitiven Krankenhausbereichen gelten ab dem 1. Januar 2019 Personaluntergrenzen.

Ob all das etwas bringt? Glaubt man dem Pfleger Alexander Jorde, der sich in einem Spiegel-Interview dazu geäußert hat, so gleichen die oben genannten Maßnahmen der Politik eher einem Hütchenspiel. „Die Strukturen haben sich verändert, aber an der Situation auf den Stationen hat sich nichts geändert“, so Jorde.

Auch der Pflegeexperte Claus Fussek ist in Sorge: „Was, wenn dann kein Auszubildender mehr in die Altenheime will, sondern alle nur ins Krankenhaus?“ Außerdem werden seiner Meinung nach die Tarife nicht von der Bundesregierung, sondern zwischen der Pflegebranche und der Gewerkschaft Verdi ausgehandelt. Und da das Pflegepersonal schlecht organisiert ist und nur ein Teil von der Gewerkschaft vertreten wird, geht er davon aus, dass sich die Bezahlung nicht wirklich verbessern wird92Vgl. Hassenkamp, M.: Pflegenotstand im neuen Jahr – Spahns größte Baustelle. spiegel.de, 01/2020​. Leider gibt es bislang auch keine „Best Practice“-Beispiele, die gute Leistungen für Pflegebedürftige, gute Arbeitsbedingungen für Pflegende und eine gesicherte Finanzierung zusammengebracht hätten.

Tipp: Wenn Sie sich nicht passiv auf das Wirken der Politiker verlassen wollen, dann können Sie als Betreiber auch selbst Einfluss auf die Rahmenbedingungen nehmen. Zum Beispiel, indem Sie sich in einem Verband engagieren. Oder: Nehmen Sie das Heft selbst in die Hand und wagen Sie den Schritt in die Kommunalpolitik. Nehmen Sie Kontakt zu Ihrem Bürgermeister und/oder Landrat auf und sprechen Sie mit ihnen über die Möglichkeiten, wie sie zum Beispiel gemeinsam auf lokaler Ebene das Image der Pflege oder die Möglichkeiten der Digitalisierung in der Pflege verbessern können.

Maßnahmen auf der Mikroebene – Mitarbeiter/Team

Die Maßnahmen auf der Meso- und Makroebene werden durch solche auf der Mikrobene komplettiert. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, welche den einzelnen Mitarbeiter oder die jeweiligen Teams betreffen. Maßnahmen, durch die jeder Einzelne einen indirekten Beitrag dafür leisten kann, dass sich die subjektiv wahrgenommenen Arbeitsbedingungen verbessern und so dem Personalmangel in der eigenen Einrichtung bestmöglich entgegenwirken.

Folgende Maßnahmen sind hierfür geeignet:

  • die Verbesserung der internen Kommunikation und des Konfliktmanagements
  • die Förderung der persönlichen Widerstandskraft durch Resilienztraining

Verbesserung der internen Kommunikation und des Konfliktmanagements

Tatsache ist, dass die Art und Weise, wie in Ihrer Einrichtung kommuniziert wird, einen großen Einfluss auf die allgemeine Arbeitsatmosphäre, die Stimmung und den Unternehmenserfolg hat. Funktioniert die interne Kommunikation gut und werden Konflikte angemessen gemanagt, trägt dies wesentlich zur Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeitermotivation bei. Und je zufriedener und motivierter Ihre Mitarbeitenden sind, desto geringer ist die Personalfluktuation.

Folgende Maßnahmen sind geeignet, um die interne Kommunikation und das Konfliktmanagement zu verbessern:

  1. Nutzen Sie eine Mitarbeiter-App – zum Beispiel die Mitarbeiter-App LUCI. Mit Hilfe einer solchen App digitalisieren und bündeln Sie Ihre Kommunikationskanäle nicht nur. Ihre Kommunikation wird auch wesentlich schneller, effizienter und günstiger. Schlussendlich sorgen Sie so dafür, dass die richtigen Mitarbeitenden die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt erhalten.
  2. Neben der Optimierung der Kommunikationskanäle ist es ratsam, gleichzeitig auch in die kommunikative Kompetenz jedes einzelnen Mitarbeiters zu investieren, da unangemessene Kommunikation einen negativen Einfluss auf die Effizienz eines Pflegeteams und dessen Arbeitsklima haben kann.

    Eine sehr einfache und bewährte Möglichkeit zur Verbesserung der kommunikativen Kompetenz stellt die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach M. Rosenberg dar. Sofern diese nicht nur einmal von einem Team erlernt, sondern anschließend auch in wiederkehrenden Reflexionsrunden über einen längeren Zeitraum regelmäßig anhand von ganz konkreten Alltagsbeispielen wiederholt und gefestigt wird, kann die Gewaltfreie Kommunikation eine intakte Kommunikationskultur herbeiführen und festigen.

Verbesserung der persönlichen Widerstandskraft durch Resilienztraining

Unter Resilienz versteht man die Fähigkeit eines Menschen, sehr schnell und flexibel auf Probleme und Veränderungen mit Verhaltensanpassungen reagieren und somit schwierige Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigungen meistern zu können. Wer resilient ist, ist also belastbar und verfügt über eine gute psychische Widerstandskraft.

Resilienz kann man mit folgenden praxiserprobten Methoden trainieren:

  • Verschiedene Techniken der Achtsamkeits-Meditation
  • Mehrere Interventionen aus dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP)
  • Diverse Techniken aus dem Kundalini-Yoga
  • Wim Hof Methode

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Erfolgsmessung: Die Wirkung überprüfen

Damit Ihre Maßnahmen gegen den Personalmangel effektiv sind und am Ende auch ein voller Erfolg werden, sollten Sie Ihre Aktivitäten und Prozesse regelmäßig messen und überprüfen. Das gelingt ganz leicht, wenn Sie einige Kennzahlen (engl. Key Performance Indicators – kurz KPI’s) definieren und mit ihnen kontinuierlich arbeiten. So können Sie rasch erkennen, ob Sie eine Maßnahme dem gewünschten Ziel näher bringt oder ob Sie die Aktivität anpassen oder sogar einstellen müssen.

Welche Kennzahlen das sind, hängt von der konkreten Maßnahme ab, die Sie umsetzen möchten. Wenn Sie beispielsweise Ihre Personalbeschaffung optimieren wollen, dann sollten Sie einige der folgenden KPI’s monatlich erheben und bewerten:

  • Bewerbungen gesamt
  • Bewerbungen gesamt nach Berufsgruppen
  • Herkunft der Bewerbung nach Kanal (engl. Channel-Effectiveness)
  • Offer-Acceptance-Rate: prozentualer Anteil der Kandidaten, die eine Stelle annehmen
  • Fluktuationsfaktor (Austritte je 100 Mitarbeiter in Vollzeitäquivalenten)
  • Einstellungen
  • Verhältnis von Ein- zu Ausstellungen
  • Absagequote
  • Cost-per-Hire: Kosten, die für eine Neubesetzung einer Stelle anfallen
  • Time-to-Interview: Zeitspanne von Ausschreibung bis zum ersten Interview
  • Time-to-Hire: Zeitspanne von Ausschreibung bis Besetzung der Stelle
  • Zufriedenheit der Kandidaten mit dem Bewerbungsprozess
  • Kosten einer unbesetzten Stelle

Hinweis: Achten Sie in diesem Zusammenhang aber auch darauf, dass Sie nur solche Kennzahlen nutzen, die für Sie auch tatsächlich einen Mehrwert bieten.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung. Bei eventuellen Fragen können Sie uns gerne ansprechen.